Kreislaufpioniere Auf dem Weg zur Rohstoff-Souveränität?

Im deutschen Recycling steckt gewaltiges Potenzial. Wie wichtig die haushaltsnahe Erfassung von Verpackungsmüll ist, warum am Design for Recycling kein Weg vorbeiführt und was Recycling für Klimaschutz und Rohstoff-Souveränität leistet, erklärt uns Herwart Wilms, Geschäftsführer beim Recyclingunternehmen Remondis und Vorsitzender des Rohstoff-Ausschusses beim Bundesverband der Deutschen Industrie.

Herr Wilms, wie gut funktioniert das deutsche Recycling?

Wir Deutschen denken immer, wir seien die Recyclingweltmeister. Fakt ist aber, dass über alle Gütergruppen hinweg gerade mal 13 Prozent der Produkte aus recyceltem Material hergestellt werden. Das ist zu wenig. Würden wir das verdoppeln, könnten wir das Klima jährlich um 60 Millionen Tonnen CO₂ entlasten. 

Die Infrastruktur und die Technologie dafür haben wir. Aber das Problem ist nicht die Verwertung. Das Problem sind Unmengen nicht recyclebarer Produkte. Wir müssen endlich anfangen, möglichst alle Produkte ab Werk recyclingfreundlich zu designen. 

Anders als viele glauben, beginnt Kreislaufwirtschaft nicht beim Abfall. Sie beginnt bei Produkten, die für die Wiederverwertung optimiert sind. Das schützt die Umwelt, macht uns aber zugleich auch unabhängiger von Rohstoffimporten. Deshalb sage ich Ingenieur*innen immer: Entwerft eure Produkte so, dass ihr euer eigener Rohstofflieferant werden könnt.

Das bringt uns zum Verpackungsplastik. Was benötigen wir, um es im Kreislauf zu halten?

Besonders wichtig ist die haushaltsnahe Erfassung von Verpackungen. Nur so gelangt Plastikabfall direkt von den Verbraucher*innen in die Wiederverwertung. Wie entscheidend das ist, zeigt der Müll in den Weltmeeren: Mehr als 90 Prozent der marinen Plastikverschmutzung stammt aus zehn sehr verdreckten Flüssen. All diese Flüsse fließen durch Länder, die keine haushaltsnahe Erfassung für Verpackungsmüll haben. 

In Deutschland sind wir mit dem Gelben Sack und dem Pfand auf Einwegflaschen da zum Glück sehr gut aufgestellt. Außer Reifenabrieb landet aus Deutschland kein Plastikmüll mehr im Meer. Und auch das werden wir durch bessere Abwasserreinigung hoffentlich bald in den Griff bekommen. Entscheidend ist, dass wir weiterhin ein gut finanziertes Recyclingsystem für die haushaltsnahe Erfassung sicherstellen.

Wie sollte die deutsche Politik die Kreislaufwirtschaft weiter ankurbeln?

Für den schnelleren Ausbau der Erneuerbaren Energien hat das Wirtschaftsministerium unter Robert Habeck einen interessanten Kniff angewandt: Man hat Paragraph 2 im EEG geändert, um der Errichtung und dem Betrieb von Anlagen ein „überragendes öffentliches Interesse“ zuzuschreiben. Das Gleiche sollten wir mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz tun. 

Wenn man bedenkt, wie wichtig Kreislaufwirtschaft für Ressourcen- und Klimaschutz ist, ist überragendes öffentliches Interesse definitiv gegeben. Rechtlich könnte man dann wichtige Schritte schneller und besser umsetzen. 

Außerdem könnten Behörden ihre Ermessensspielräume eindeutig zugunsten von Recycling und Ressourcenschonung nutzen. So könnte man gezielt Unternehmen besserstellen, die auf recycelte und recyclingfähige Produkte setzen – und jene belasten, die das nicht tun. Aus meiner Sicht ist das ein mächtiger Hebel für mehr Kreislaufwirtschaft.

Herr Wilms, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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Auf der IFAT 2022 diskutierten Herwart Wilms, Frosch-Chef Reinhard Schneider und Umweltschützer Hannes Jaenicke darüber, wie Wirtschaft und Politik die Kreislaufwirtschaft stärken können.

Kreislaufpioniere

In unserer Interview-Reihe „Kreislaufpioniere“ sprechen wir mit Expert*innen aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft über Kreislaufwirtschaft, Recycling und verwandte Umweltthemen. Unter dem Motto „kurz und konkret“ beantworten unsere Gesprächspartner*innen drei Fragen zu ihrem Fachgebiet.