Für eine makellose CO2-Bilanz setzen viele Unternehmen auf Klimazertifikate. Doch die vermeintliche Wunderwaffe im Kampf gegen die Klimakrise entpuppt sich oft als Mogelpackung. Statt echtem Klimaschutz dominieren Intransparenz und Missbrauch. Zwei aktuelle Fälle machen das mehr als deutlich.
Die Klimakrise gehört zu den größten Herausforderungen unserer Zeit. Immer mehr Unternehmen erkennen die Dringlichkeit und bekennen sich zu ambitionierten Klimazielen. Ein genauerer Blick zeigt allerdings: Viele setzen auf fragwürdige Methoden, statt die eigenen Emissionen zu reduzieren.
Eine davon ist der Handel mit Klimazertifikaten, der auf dem Prinzip der Kompensation beruht: Emissionen von Unternehmen werden an anderer Stelle wieder eingespart und somit ausgeglichen, etwa durch Aufforstung, den Ausbau erneuerbarer Energien oder andere Klimaschutzprojekte. Zumindest theoretisch. Was zunächst nach einem einfachen Weg klingt, fällt den Unternehmen aber oft auf die Füße.
Ein aktuelles Beispiel ist der Skandal um Mineralölkonzerne, die Klimazertifikate aus zweifelhaften Projekten in China genutzt haben sollen, um die gesetzlichen Verpflichtungen zur CO2-Minderung in Deutschland zu erfüllen. Wie das Umweltbundesamt (UBA) Mitte 2024 öffentlich machte, stehen viele dieser Projekte im Verdacht, nur auf dem Papier zu existieren.
Betroffen sind sogenannte Upstream-Emissions-Reduktions-Projekte (UER), mit denen Ölkonzerne seit 2018 Klimaziele im Verkehrssektor erfüllen können. Bei der Überprüfung von 69 Projekten stieß das UBA in 40 Fällen auf schwerwiegende Verdachtsmomente. So zeigen etwa Satellitenbilder, dass einige Anlagen, mit denen Emissionen bei der Ölförderung verringert werden sollen, gar nicht existieren.
Auch erhärtete sich der Verdacht gegen zwei Mitarbeitende von Unternehmen vor Ort, die diese Projekte geprüft hatten. UBA-Chef Dirk Messner spricht sogar von einem möglichen „Betrugssystem“. Das UBA hat bereits Ermittlungen eingeleitet, Strafanzeige gestellt und erste Projekte gestoppt.
Etikettenschwindel Aufforstung
Leider ist das kein Einzelfall. Vielmehr stehen die UER-Fälle exemplarisch für die Probleme mit Klimazertifikaten. Allzu oft werden sie vergeben, ohne dass tatsächlich Treibhausgase eingespart werden.
Eine mindestens ebenso fragwürdige Methode, die eigene Klimabilanz zu schönen, ist die CO2-Kompensation durch Aufforstung. Unternehmen finanzieren das Pflanzen oder den Schutz von Bäumen, um rechnerisch CO2 zu binden. Dabei ist völlig unklar, wie viel die Bäume tatsächlich speichern und wie lange der Effekt anhält. Oft genug erweisen sich auch solche Projekte im Nachhinein als wirkungslos – oder nicht existent.
Prominentestes Beispiel für massiven Schwindel dürfte die NGO Verra sein, die als weltweit größter Zertifizierer von CO2-Kompensationen gilt. Unlängst deckten Investigativ-Journalisten auf, dass etwa 94 Prozent der von Verra zertifizierten Regenwald-Schutzprojekte vollkommen wertlos sind. In konkreten Emissionen entspricht das knapp 89 Millionen Tonnen CO₂, die nie eingespart wurden.
Verra berechnete seine Gutschriften danach, wie stark ein bestimmtes Waldstück von Abholzung bedroht ist. Wurde der Wald unter Schutz gestellt, galt die Differenz als eingespartes CO2. Aber offenbar wurde die Gefahr der Abholzung aber im Schnitt um das Vierfache übertrieben, um die positiven Effekte des Projekts weit über ein realistisches Maß aufzublähen.
Klimaschutz statt Klimaschwindel
All das zeigt: Zertifikate sind Teil des Problems, nicht Teil der Lösung. Sich vom anderen Ende der Welt hypothetische CO2-Einsparungen bescheinigen zu lassen, ist kein Klimaschutz. Es ist Greenwashing. Wir können die Klimakrise nicht einfach wegrechnen, sondern müssen echte Veränderungen anstoßen. Dafür braucht es verbindliche Regeln für Unternehmen, um ihre Emissionen transparent auszuweisen und konsequent zu reduzieren.
Wirkliche CO2-Einsparungen fangen im eigenen Unternehmen an, durch Investitionen in klimafreundliche Technologien und Prozesse. Wer darüber hinaus kompensieren oder in zertifizierbare Projekte investieren möchte, muss dafür höchste Ansprüche stellen. Im Fall von Aufforstung bedeutet das zum Beispiel: Das Projekt muss auf Vielfalt und Biodiversität setzen und dabei langfristig betreut werden.
Nur wenn wir aufhören, uns mit Zertifikaten von der eigenen Verantwortung freizukaufen, können wir die Klimakrise noch abwenden. Es ist höchste Zeit, dass Unternehmen ihre Hausaufgaben machen und sich ihrer Pflicht zu echtem Klimaschutz stellen.