Verbraucher*innen zweifeln zunehmend an den Nachhaltigkeitsbehauptungen von Unternehmen. Nicht ganz zu Unrecht, wie eine Studie zeigt. Mit strengen Regeln gegen Greenwashing will die EU das Vertrauen zurückgewinnen. Mehr
Herr Sander, wie ließe sich aus Ihrer Sicht als Verpackungsexperte das Recycling von Plastikmüll noch effizienter gestalten?
Ein großes Problem sind Verpackungen aus Verbundplastik, die nicht aus einer, sondern aus vielen verschiedenen Sorten Plastik bestehen. Ein Beispiel sind Verpackungen für Wurst- und Käsescheiben wie man sie im Supermarkt kaufen kann. Recyclingunternehmen haben diese Verpackungen aus ihrem System verbannt, weil man nichts mit ihnen anfangen kann. Müllsortieranlagen sondern sie aus und die Unternehmen verkaufen sie anschließend als Ersatzbrennstoff. Das passiert mit vier von fünf Verpackungen aus Mischkunststoff.
Was macht es so schwierig, Verpackungen aus Verbundplastik zu recyceln?
Sie lassen sich viel schwerer recyceln als Verpackungen aus einer einzigen Sorte Plastik. Nehmen wir das Beispiel der Käseverpackung: Obwohl sie sehr dünn ist, kann sie aus bis zu fünf verschiedenen Lagen Plastik bestehen, die miteinander verklebt sind. Das macht man, um der Verpackungen gewisse Eigenschaften zu geben. Etwa, dass sie Sauerstoff nicht durchlässt und so den Inhalt frisch hält. Für das Recycling ist das kontraproduktiv, weil man die Lagen nie wieder auseinander bekommt. Gleichzeitig haben alle Kunststoffe inklusive der Klebstoffe unterschiedliche Schmelzpunkte. Würde man also die Käseverpackung als Ganzes aufschmelzen, bekäme man nur einen Klumpen Plastik mit undefinierbaren technischen Parametern, aus dem sich nichts mehr herstellen lässt.
Dennoch tragen viele Wurst- und Käseverpackungen den Grünen Punkt. Der durchschnittliche Verbraucher interpretiert das als: recycelbar…
Als recycelt gilt derzeit in Deutschland alles, was eine Müllsortieranlage passiert. Ob danach auch wirklich ein neues Produkt daraus wird, spielt keine Rolle. Das ist ein Problem unseres Recyclingsystems: Sehr viele Verpackungen gelten als recyclingfähig. Wenn Verwerter aus dem aufbereiteten Material aber nichts machen können, ist das eine fragwürdige Definition. Um Recycling zu betreiben, müssen Recyclingunternehmen wirtschaftlich arbeiten können. Dennoch wirft man ihnen derzeit einfach jede Menge Kunststoff hin, den sie nur verbrennen können. Sobald sie mit hochwertigem Recyclat viel Geld verdienen, kommt das ganze System in Schwung.
Welche Ansätze sehen Sie, das bisherige System zu verbessern?
Ein entscheidender Ansatz heißt Design for Recycling, das Verpackungen konsequent als wiederverwertbar entwirft. Dafür muss sich die Konsumgüterbranche auf gewisse Standards einigen. Man müsste weniger verschiedene Plastiksorten verwenden und sich auf diejenigen beschränken, die sich gut im Kreislauf führen lassen. Außerdem sollten Verpackungen aus Monoplastik bestehen, heißt: Sie enthalten nur eine einzige Sorte Plastik. Bei PET-Flaschen funktioniert beides schon ganz gut.
Warum machen das so wenige Unternehmen?
Weil sie es nicht mussten. Gott sei Dank hat die Politik jetzt im Zuge des neuen Verpackungsgesetzes erkannt, dass man für besseres Recycling den Markt stärker vereinheitlichen muss. Nach heutiger Rechtslage ist fast alles recyclingfähig. Hersteller von Verpackungen zahlen Gebühren für Lizenzen, die so tun, als wären all ihre Produkte recyclingfähig. Ob das auch stimmt, braucht sie nicht zu kümmern.
Wie setzt Werner & Mertz den Gedanken des recyclingfreundlichen Verpackungsdesigns um?
Die Reinigerflaschen der Marke Frosch bestehen längst zu hundert Prozent aus recyceltem PET oder HDPE, sind also vollständig aus Monomaterial gefertigt. 2019 haben wir eine Duschgelflasche auf den Markt gebracht, die ebenfalls komplett aus HDPE besteht. Außerdem haben wir mehrere Jahre investiert, um für unsere Waschmittel und Reiniger den ersten Standbodenbeutel zu entwickeln, der zu hundert Prozent aus recyclingfähigem Polyethylen besteht. Nach ausgiebigen Tests kam der Beutel Anfang 2020 auf den Markt. Noch vor ein paar Jahren war ein solcher Beutel undenkbar. Als wir uns damals in der Branche nach technischen Möglichkeiten erkundigt haben, hieß es von allen Seiten: Das ist nicht machbar. Trotzdem haben wir viel Zeit und Energie in das Vorhaben gesteckt – und siehe: Es ist machbar.
Was ist das Besondere am neuen Beutel von Werner & Mertz?
Er lässt sich so gut recyceln, dass wir fast das komplette Recyclat für funktionsgleiche Neuprodukte nutzen können. Um das zu ermöglichen, ist die äußere bedruckte Schicht nicht mit der inneren unbedruckten Schicht des Beutels verklebt. Das ist wichtig, auch wenn beide Teile aus reinem Polyethylen bestehen. Denn die Recyclingfirmen schreddern das Plastik und sortieren anschließend die Schnipsel mittels Sensoren und Kameras. Je mehr bedrucktes Polyethylen sich in das unbedruckte mischt, desto schlechter wird die Qualität des Recyclats aus dem unbedruckten Material. Durch die störende Farbe ist es nicht mehr so transparent wie Originalplastik, weshalb es Hersteller nicht für Neuprodukte einsetzen.
Das klingt alles sehr naheliegend. Warum machen Unternehmen das nicht schon lange?
Den meisten fehlt der Mut. Es gehört Idealismus, Überzeugung und ein Quäntchen Wahnsinn dazu, ein solches Projekt anzugehen. Ohne ökonomischen Zwang wirft man einen sehr gut laufenden und effizienten Produktionsprozess über den Haufen und justiert ihn völlig neu. Plötzlich hat man es mit einer anderen Druckbildwiedergabe zu tun, muss Maschinen neu einstellen, vielleicht sogar eine neue Anlage kaufen. Es besteht also ein großes kommerzielles Risiko. Die meisten winken da einfach ab und denken: Wofür denn? Aber diese Hürden zu überwinden zeichnet Werner & Mertz schon immer aus. Fortschritt entsteht nicht, indem man sich am Minimum entlang hangelt.
Wo wir gerade von Fortschritt sprechen: Plant Werner & Mertz weitere Innovationen in Sachen Recycling?
Bis 2025 soll unser neuer Beutel zu einhundert Prozent aus Recyclat bestehen. Damit wäre die Idee des geschlossenen Wertstoffkreislaufes verwirklicht: Ein vollständig recyclebarer Standbodenbeutel, der vollständig aus recyceltem Material besteht. In dieses Projekt werden wir noch viel Arbeit stecken, denn derzeit gibt es noch kein Recyclat, mit dem das möglich wäre. Außerdem suchen wir nach Möglichkeiten, den Beutel auch für andere Bereiche nutzbar zu machen, zum Beispiel für Lebensmittel. So wollen wir das Konzept des geschlossenen Recyclingkreislaufs für alle Plastikverpackungen als neuen Standard etablieren.
Was ist dafür nötig?
Derzeit ist der Monobeutel nur für Waschmittel und Kosmetika nutzbar. Für Produkte also, die sich bei Kontakt mit Sauerstoff nicht verändern. Will man den Beutel auch für Lebensmittel einsetzen, braucht man eine Barriere gegen Sauerstoff. Andernfalls würde der Inhalt schnell verderben. Heute löst man dieses Problem in der Regel mit chemischen Zusätzen. Wie Verbundplastik ist aber auch diese Methode sehr schlecht für das Recycling. Deshalb setzen wir unsere ganze Erfahrung in der Verpackungsentwicklung ein, um eine nachhaltige Lösung zu finden. Ich bin überzeugt, dass wir eine Barriereoption für Monoplastik entwickeln, die ganz auf chemische Zusätze verzichtet. Das wird schwierig, aber man sollte sich immer herausfordernde Ziele stecken, statt sich auf dem Erreichten auszuruhen.