Kreislaufpioniere Deutschlands einzige Rohstoffressource

Plastikrecycling steckt in einer handfesten Krise. Trotzdem gibt es Grund für Optimismus, sagt Ralf Mandelatz. Der Geschäftsführer von REMONDIS Recycling skizziert für uns die komplexe Dynamik der Recyclingmärkte und beleuchtet die Hemmnisse und Potenziale der Branche, von der Energiekrise bis zur aktuellen Gesetzgebung.

Herr Mandelatz, was passiert derzeit auf den Märkten für Kunststoffrezyklate?

Seit Anfang 2023 stehen die Hersteller von Kunststoffrezyklaten unter großem Druck. Im Jahr 2022 haben viele Unternehmen Rohstoffe gehortet, weil sie Angst vor einer Gasknappheit hatten. Die Kunststoffverarbeiter deckten sich vorsorglich mit Material aus Fernost ein. Von dort wurden rund eine Million Tonnen mehr PET-Neuware importiert als in den Jahren zuvor. Zudem sind die Strompreise in Deutschland und Europa infolge der Energiekrise massiv gestiegen. Das schwächt die Wettbewerbsfähigkeit der Neuwaren- und Recyclingindustrie gegenüber Regionen mit günstigeren Energiepreisen. Zwar sind die Strompreise inzwischen wieder gesunken, aber die gehandelten Rezyklatmengen sind nach wie vor gering. Das liegt daran, dass die Kunststoffverarbeiter 2023 ihre gehorteten Sicherheitsreserven abgebaut haben, anstatt neues Material einzukaufen.

Wie haben sich die Marktanteile von Rezyklaten und Neukunststoffen in den letzten Jahren verändert?

Seit der letzten Rohstoffkrise 2020 bis zum Jahr 2022 hat sich die Nachfrage nach Recyclingrohstoffen sehr positiv entwickelt. Ab 2020 haben auch wir als Kunststoffrecycler Kunden in unterschiedlichen Projekten geholfen, mehr Rezyklat einzusetzen. Die Gründe für den gesteigerten Einsatz sind vielfältig: Zum einen liegt es an politischen Zielen inklusive regulatorischer Vorgaben, insbesondere auf EU-Ebene. Zum anderen gibt es ein wachsendes Umweltbewusstsein in der Gesellschaft. Allerdings haben die nachfolgenden Krisen diese positive Entwicklung teilweise wieder zunichte gemacht: Der Ukraine-Krieg, die daraus resultierende Energiekrise und die enorme Inflation haben die Preise in die Höhe getrieben und dafür gesorgt, dass sich Verbraucher*innen im Zweifel eher für das billige als für das nachhaltige Produkt entscheiden.

Wie beeinflusst der weltweite Kunststoff- und Recyclingmarkt die Entwicklung in Deutschland?

Wir haben in Deutschland und Europa nach wie vor die höchsten Energiekosten der Welt. In Asien sieht es anders aus: Neben günstiger Energie haben die Unternehmen dort Zugang zu billigem Rohöl, weshalb dort derzeit große Mengen an sehr preiswerten Neukunststoffen produziert werden. Da auch in Asien die Konjunktur schwächelt, verkaufen die Unternehmen ihre billige Neuware zunehmend in Europa. Gleichzeitig finden immer mehr vermeintlich nachhaltige Recyclingkunststoffe den Weg auf unsere Märkte: zum Beispiel sogenanntes „Social Plastic“ aus lokalen Sammelaktionen oder Rezyklate aus Indonesien, China oder der Türkei. In beiden Fällen meist mit höchst fragwürdigen Herkunftsnachweisen. In Deutschland und Europa müssen wir mit diesen Märkten konkurrieren, haben aber völlig andere Produktionsbedingungen.

Gibt es Branchen, in denen der Einsatz von Rezyklaten zugenommen hat?

Ja, die gibt es. Bei Getränkeverpackungen aus PET sehen wir einen deutlichen Anstieg. Allein von 2019 bis 2021, also bis kurz vor Beginn der Ukrainekrise, ist der Rezyklatanteil um 10 Prozent gestiegen. Hier dürfte die Einwegkunststoffrichtlinie der EU eine wichtige Rolle gespielt haben. Auch bei anderen Verpackungsarten wie Lebensmittelverpackungen aus PET, Haushaltsverpackungen für Kosmetika oder Behältern und Flaschen für Wasch-, Putz- und Reinigungsmittel ist ein Anstieg zu verzeichnen. Darüber hinaus gibt es mittlerweile in fast allen Branchen Projekte, die sich mit der gezielten Sammlung und Sortierung von Produkten beschäftigen, um daraus Recyclingrohstoffe für die Herstellung neuer Produkte zu gewinnen.

Wie wichtig ist Unternehmen das Thema Nachhaltigkeit, wenn sie sich für Rezyklate entscheiden?

Es gibt Unternehmen wie Werner & Merz, die bei der Beschaffung ihrer Rohstoffe konsequent auf Nachhaltigkeit achten. Solche Unternehmen haben den Kreislaufgedanken fest in ihrer Unternehmensstrategie verankert und setzen dieses Ziel auch unabhängig von Markteinflüssen um. Es gibt aber auch viele Unternehmen, die den Einsatz von Rezyklaten rein wirtschaftlich betrachten. Wenn man auf die Entwicklung der letzten 3 bis 4 Jahre blickt, muss man sagen, dass die Nachfrage nach Rezyklaten gestiegen ist. Leider hat der Krieg in der Ukraine sowie die Energiekrise und deren Folgen zu einer sehr deutlichen Delle in dieser Entwicklung geführt.

Wie wichtig ist die Akzeptanz der Verbraucher*innen? Versucht REMONDIS, die Akzeptanz für Rezyklate gezielt zu fördern?

Wir sind ein B2B-Unternehmen, das keinen unmittelbaren geschäftlichen Kontakt zu Verbraucher*innen hat. Dennoch sind auch wir an einer hohen Akzeptanz von Rezyklaten interessiert und betreiben Aufklärungsarbeit. Dazu nutzen wir unsere Social-Media-Kanäle, gehen in Schulen und bieten Interessierten die Möglichkeit, unsere Anlagen zu besichtigen. Ein Stück weit können wir die Akzeptanz aber auch durch eine saubere Sortierung verbessern, in die wir in letzter Zeit intensiv investiert haben. Erfreulicherweise stellen wir fest, dass Grau- oder Gelbstiche bei transparenten Rezyklat-Flaschen oder auch optisch veränderte Verpackungen aus Rezyklat mittlerweile von den Verbraucher*innen akzeptiert werden, weil sie zum Symbol für nachhaltige Kunststoffe geworden sind.

Was erwarten Sie für die Zukunft der Recyclingindustrie?

Gegenwärtig ist die Situation für die Unternehmen der Recyclingwirtschaft sehr schwierig. Dennoch kann man optimistisch in die Zukunft blicken. Abfall ist die einzige Rohstoffressource, die wir in unserem Land noch haben. Zudem trägt die Kreislaufwirtschaft, in der Recycling ein zentraler Baustein ist, erheblich zur CO2-Reduktion bei. Recycling ist außerdem weniger energieintensiv als die Neuproduktion von Plastik und wird durch die aktuelle Gesetzgebung unterstützt. Es kommt jetzt darauf an, dass die verschiedenen Akteure der Wertschöpfungskette – Recycler, Verpackungs- und Lebensmittelhersteller – zusammenarbeiten, um möglichst große Mengen im Stoffkreislauf zu halten. Je früher, desto besser.

Welche Rolle spielen neue Technologien und Innovationen für die Entwicklung des Rezyklat-Marktes?

Hier hat sich in letzter Zeit in der Branche viel getan, auch in unseren Anlagen. Die optische Sortierung hat enorme Fortschritte gemacht. Außerdem können wir inzwischen mit Hilfe von künstlicher Intelligenz ganz gezielt bestimmte Inhalte aussortieren. So entfernen wir schon heute bestimmte Produkte, die den weiteren Recyclingprozess stören könnten. Mit der steigenden Wertschätzung von Rezyklaten werden weitere Technologiesprünge möglich. Neue Technologien und Innovationen in bestehenden Verfahren werden die Recyclingwirtschaft bei ihrer Transformation vom Abfallentsorger zum Wertstoffproduzenten unterstützen.

Wie wirken sich Gesetze und politische Entscheidungen auf die Branche aus?

Die Mindestquoten für den Einsatz von Rezyklaten sind inzwischen in der EU-Richtlinie über Einwegkunststoffe formuliert. Auch wenn diese Quoten noch nicht bindend sind, hat sich der Rezyklatanteil in Flaschen bereits erhöht, was ein sehr gutes Zeichen ist. Auch die Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten ist inzwischen gesetzlich vorgeschrieben. Mit der geplanten Plastiksteuer kann die Kreislaufwirtschaft ebenfalls massiv gefördert werden, wenn sie sinnvoll ausgestaltet wird und nachhaltige Rezyklate begünstigt. Die Politik kann aber auch Einfluss auf die Produktionskosten nehmen, zum Beispiel über die Strompreise. Oder sie kann Genehmigungsverfahren für neue Anlagen beschleunigen und bessere Vorgaben für die Sammlung und Sortierung von Abfällen machen. Viele solcher Gesetze sind derzeit in Vorbereitung.

Wie müssen regulatorische Veränderungen aussehen, damit sie möglichst viel nützen?

Die Regularien sollten technologieoffen gestaltet werden und immer das Ziel der Nachhaltigkeit verfolgen. Werden alle derzeit im Entwurf vorliegenden Gesetze bestätigt, ist damit ein solider Grundstein gelegt. Wichtig ist, dass die Detailausgestaltung eine nachhaltige europäische Kreislaufwirtschaft fördert. Mit den richtigen Rahmenbedingungen können die Sammel-, Sortier- und Recyclingmengen in Europa gesteigert und damit die Kreislaufführung von Materialien gefördert werden. Und davon profitieren am Ende wir alle.

Herr Mandelatz, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Kreislaufpioniere

In unserer Interview-Reihe „Kreislaufpioniere“ sprechen wir mit Expert*innen aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft über Kreislaufwirtschaft, Recycling und verwandte Umweltthemen. Unter dem Motto „kurz und konkret“ beantworten unsere Gesprächspartner*innen drei Fragen zu ihrem Fachgebiet.